Seit zwei Tagen etwa nehme ich mir vor, ein Fazit über den Besuch des deutschen Bundespräsidenten in der Türkei zu schreiben. Um nicht all das widerzukäuen, was in den vergangenen Tagen in der türkischen sowie in der deutschen Presse feilgeboten wurde, habe ich mich eben genau durch diese erst einmal durchgelesen. Klar war, dass Christian Wulff in der Türkei auf die Situation der Christen in der Türkei aufmerksam machen wird, nachdem er den Islam bereits und ungefragt als einen Teil Deutschlands bezeichnete. Für meinen Geschmack ein bisschen viel Religion in der Politik. Nun gut, darüber haben andere bereits geschrieben.
In der Online-Ausgabe der türkischen "Aksam"-Zeitung fand ich eine Kolumne von Özlem Celik, die mir außerordentlich gut gefallen hat und aus der ich hier einen Teil übersetzen und zitieren möchte. Özlem Celik vertritt die Generation der 25-40 Jährigen in der Türkei, die sich nicht von der religiösen Welle, die in den vergangenen Jahren über das Land geschwappt ist, erfassen ließ. Mit ihr sind es sind viele, sehr viele, die in Deutschland offenbar gar nicht wahrgenommen werden. Zu sehr sind wir damit beschäftigt, uns mit der vornehmlich anatolischenen Bevölkerung zu befassen, die sich über die Religion in der Türkei oder auch in Europa zu definieren oder zu emanzipieren versucht und vergessen darüber ganz, dass es sich bei den knapp 73 Millionen Einwohnern bei etwa einem Drittel um Aleviten handelt und ein weiterer Teil sich nicht als aktiv gläubige Muslime sieht.
So auch Özlem Celik. Sie schreibt in ihrer Kolumne "Kopftuch und meine Geschichte" folgendes: "Es stehen wieder Wahlen bevor und somit wird auch wieder der `Türban` diskutiert (...) Welchen Fernsehsender man auch anzappt, dasselbe Thema, dieselben Gesichter...Was sollen wir machen? Wer sind wir? Die wahre Minderheit...Der Minderpräsident sagt ja `Farbige`... Das sind wir. Also wir sind die Ungläubigen, die den Gläubigen mit Nachsicht und Toleranz begegnen. Uns findet man im Kreuzworträtsel unter einem Begriff mit mehr als drei Buchstaben: ATHE...
`Wo ist sie, die Demokratie? Ich will die Freiheit, kein Kopftuch zu tragen`, sagen diejenigen, die hier keine iranischen Verhältnisse wollen. (...) Die Minderheit sind wir! Leute wie ich...Auch wenn sie nicht gläubig sind, müssen die Kinder in den islamischen Religionsunterricht, selbst nachdem wir gestorben sind und man uns begraben will, kommt der Imam und hält seine Andacht...soll ich noch mehr aufzählen? (...) Ich war in der Mittelschule, 1988 und widersprach dem Lehrer, der mich daraufhin zurecht wies. Aber ich ließ nicht locker und sagte, dass ich an den Verstand und die Menschen glaube. Dies hier sei eine Schule, sagte ich, hier darf man alles diskutieren! Da war vielleicht was los.(...) Mein Vater musste das wieder gerade biegen. Ich bekam eine Disziplinar-Strafe und wurde bedroht. Gleiches erlebte ich in der Oberstufe und der Universität. (...) Meine Geschichte begann eigentlich schon früher. Ich war noch keine 9, als wir Besuch von einem Onkel bekamen, der mich beauftragte, ihm Wasser zu holen. Sein Sohn war im gleichen Alter wie ich und saß mir gegenüber: `Wieso bringt der das Wasser nicht? Nur weil ich keinen Pippi habe, denkt Ihr, ich sei Euer Dienstmädchen?` (...) Die Frauen Sure, 24. Vers heisst es: `Männer müssen Frauen beschützen. Weil Allah bstimmt hat, wer über wem steht. Die Männer können ihr Eigentum verbrauchen (und für die Familie sorgen). Eine gute Frau ist gehorsam (...) lasst sie im Bett allein (sollte das nichts nutzen und ihr gezwungen seid) schlagt sie (leicht)...(...) Weiter schreibt Özlem Celik: "Auf die Überlieferungen gehe ich gar nicht erst ein...(...) Ich habe viele gläubige Freunde. Wir reden, teilen unsere Sorgen, aber wenn die Rede auf die Religion kommt, sind wir vorsichtig. Ich möchte niemanden verletzen... Aber Leute wie ich sollen nicht abgelehnt werden und ich will nicht immer auf Freiheit und Demokratie hinweisen müssen. Wie unser Ministerpräsident sagte: `Ich beginne sanft, aber ich bin kein folgsames Schaf!"
In Deutschland sollte nicht der Fehler gemacht werden, den Islam mit der Türkei oder die Türkei mit dem Islam gleich zu setzen. Respekt vor einer fremden Kultur, Religion und Tradition - das immer! Aber wie gesagt, in der Türkei gibt es nicht nur die EINE Tradition...
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