Mittwoch, 30. März 2011

Die German Angst

Man mag sie als hysterisch bezeichnen, die German Angst! Und richtig!  Politiker, hyperventilierende Weltverbesserer und die „Wir-haben-es-schon-immer-gewusst“-Gruppierungen, haben nun leichtes Spiel, Propaganda-Kapital aus Fukushima zu schlagen. Dennoch, die Angst ist berechtigt und auch angebracht!

Apokalyptische Untergangs-Szenarien zu konstruieren ist natürlich albern, gab es jedoch schon immer und dass die Esoteriker sich jetzt wieder laut zu Wort melden und davon fabulieren, „Mutter Erde“ wehre sich gegen den Menschen, ist auch klar. Wer sich davon anstecken lässt, ist selber schuld. Aber Angst zu haben und sie zu spüren, ist eines der Grundgefühle des Menschen und sie ist, evolutionsgeschichtlich betrachtet, ein sinnvoller und hilfreicher Affekt, der uns vor Gefahren warnt! Stimmt doch, oder?  Wieso also sollten wir keine Angst haben und sie dann auch artikulieren, angesichts einer realen Bedrohung, wie sie uns in den vergangenen 2-3 Wochen vor Augen geführt wird? Was ist falsch daran?
In der Sache selbst, was im Atomkraftwerk Fukushima zur Zeit genau passiert, wird möglicherweise gelogen, dass sich die Balken biegen und zumindest wir können uns kein eindeutiges Bild davon machen, welche Folgen diese Katastrophe in der Zukunft auf das Leben der Menschen in Japan haben wird. Vielleicht wird auch nicht gelogen, sondern auch Fachleute könnten überfordert sein und das wirkliche Ausmaß  selbst nicht kennen. Aber hier geht ja gar nicht nur um Fukushima!

Stellen wir uns doch nur einmal vor, anderenorts irgendwo auf der Welt passiere das gleiche, und kurz darauf noch einmal und etwas später noch einmal - womit ja nun leicht zu rechnen ist. Stellen wir uns nur weiter vor, der radioaktive Atommüll in Deutschland, der nun in keinem sogenannten „Endlager“ lagert, wie uns immer weisgemacht wurde, hat schon längst unser Grundwasser verseucht. Nur zur Erinnerung: In ASSE II läuft seit nahezu 20 Jahren Wasser ein und nähert sich dem Atommüll bedrohlich. Man hat damit begonnen, die Fässer wieder aus dem Salz heraus zu graben, um sie dann an anderer Stelle zu lagern. Endlager?

Auch durch Fukushima werden wir jetzt nicht sterben wie die Fliegen nachdem wir sie mit Mückengift besprüht haben. Das sicher nicht! Eventuell werden sich die Krebs-Erkrankungsraten langsam erhöhen, Kinder werden immer häufiger von Leukämie oder anderen Krankheiten heimgesucht und das vermutlich in der nächsten oder übernächsten Generation, und niemand wird dann noch von Fukushima oder Tschernobyl oder ASSE II sprechen, sondern die Krankheitsraten werden in einer nüchternen Statistik als Zahlen auftauchen, das Gesundheits-System wird kollabieren und man wird sich schon eine Erklärung zusammen basteln, um keine Zusammenhänge herstellen zu müssen. Es sind dann wieder die Einzelschicksale, um die wir uns keine Sorgen machen müssen, jeder hat schließlich sein Päckchen zu tragen. Strahlen sieht man, schmeckt man und fühlt man nicht! Sie sind hinterhältig und vor allem langzeitwirkend.

Als mein Vater vor fast 30 Jahren an einer seltenen Art von Leukämie erkrankte, an der zuvor sein engster Freund und Kriegskamerad elendig dahinvegetiert war, stand er plötzlich morgens in unserer WG-Küche, was für mich irritierend genug war. Er wollte mit mir über seine Krankheit sprechen und mit niemandem sonst. Weltanschaulich und politisch waren wir nie einer Meinung und er als katholisch-konservativer Lokalpolitiker warf mir oft genug vor, fortschrittshemmend und wachstumsfeindlich zu denken. An diesem Morgen aber kam er, um mit mir über eben diese Ängste zu sprechen, die wir damals schon vor dieser unbeherrschbaren Atomenergie und ihren Strahlungen formulierten. Warum? Weil ich ihn nach dem Tod seines Freundes und seiner eigenen Diagnose darauf aufmerksam machte, ob es nicht daran liegen könnte, dass sie als Funker im Zweiten Weltkrieg auf den Funkkästen schliefen, um sich vor der Kälte zu schützen? Dass ich vermutete, sie hatten eine unverträgliche Portion Strahlen abbekommen, die ihnen langsam aber sicher die roten Blutkörperchen wegfraßen. So wird es wohl gewesen sein! Leider konnte er, und vielleicht wollte er auch nicht, keine anderen Kriegskameraden mehr ausmachen, sonst hätten wir sogar so etwas wie eine kleine Statistik führen können. Aber was hätten wir auch tun können – die Wehrmacht verklagen? Denken wir doch nur daran, wie sorglos man in den Jahren der Entdeckung der Röntgenstrahlen war. Die Menschen machten sich einen Spaß daraus, sich auf Partys zu röntgen…

Es ist doch das Wissen um die Gefahr, das Angst verbreitet. Wüssten wir noch immer nichts von der Radioaktivität der Röntgenstrahlen, würden wir uns noch immer zum Spaß röntgen und mit unserem Skelett Freunde auf Partys erschrecken! Dass wir dann unter Umständen 20 Jahre später an irgendeiner seltenen Krebskrankheit sterben, wird dann bedauert. Aber an irgendwas müssen wir ja schließlich sterben, nicht wahr? Wäre mein Vater nicht an dieser Leukämie gestorben, hätte er vielleicht noch 20 Jahre gelebt und wäre dann eben an einem Herzinfarkt gestorben. Sterben müssen wir alle! So gesehen brauchen wir uns weiter keine Sorgen zu machen und dann wäre die German Angst in der Tat völlig übertrieben!

Christine Keiner


(Erstveröffentlichung http://www.weltexpress.info/)

Sonntag, 13. März 2011

Ich weine um mein Kind

Zugegeben, ich hätte auch einen weniger dramatischen Titel wählen können. Aber ich weine, jawohl, und mit mir sicherlich Millionen von anderen Müttern, ob in Ländern, in denen Hungersnot, Krieg und Elend herrscht oder in den sogenannten entwickelten Ländern, die sich durch ihren Wohlstands- und Überlegenheitswahn der Gefahr aussetzen, sich durch Atomkraft selbst zu vernichten.

Gestatten Sie mir einen Rückblick in die 1980-er Jahre in Frankfurt am Main. Als völlig unbeschriebenes Blatt und ehemalige Klosterschülerin kam ich in diese Stadt. Nach einem Praktikum bei einer katholischen Wochenzeitung und einem Ausflug in die Werbung geriet ich in die damalige Musik-/Hippie-/Polit-Szene. So kann man das heute sagen, denn damals waren das keine getrennten Gebiete, sondern in der Nachbetrachtung war das Eine ohne das Andere nicht denkbar. Wenn MAMA-Concerts zu Rock-Konzerten rief, Horst Lippmann und Fritz Rau zu Jazz – dann war das auch immer irgendwie politisch. Für die 68-er Aufstände war ich noch zu jung, aber das was danach kam, habe ich näher als mir lieb sein konnte, miterlebt. Als die Frankfurter Grünen ernst machten und ihre ersten Erfolge verbuchten, war das nicht nur ein Erfolg auf politischer Ebene, sondern es war vorerst auch ein Etappen-Sieg der „Szene“. Wieso ich das erzähle? Es beschreibt in aller Kürze und mit vielen Lücken die Atmosphäre, in der wir versuchten, erwachsen zu werden und es beschreibt auch, dass wir uns zwar amüsierten, aber immer auch den Zustand der Gesellschaft im Auge hatten  und somit die Politik einen erheblichen Teil unseres jungen Lebens ausmachte.

Als wir etwa Mitte Zwanzig bis 30 waren, in WGs wohnten und uns somit frei gewählte familiäre Verhältnisse auf Zeit schufen, warf uns so mancher „Bürgerliche“ vor, wir seien A-sozial und drückten uns vor der Verantwortung, weil wir keinerlei Ambitionen zeigten , Familien zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen. Es war müßig zu erklären, dass wir nicht die Spaßgesellschaft gründen wollten, sondern dass wir schlichtweg Angst hatten. Nicht Angst vor der Verantwortung, sondern davor, dass man uns ja gar nicht wirklich in die Verantwortung nehmen würde. Wieso? Weil uns da schon längst klar geworden war, dass die Rebellion, die Verweigerung, die mühselige Aufklärungsarbeit eigentlich nicht mehr war, als eine Beschäftigungstherapie. Auch wenn Joschka Fischer dann mit Turnschuhen in den Hessischen Landtag einmarschierte, waren die Karten ja schon längst woanders gemischt und gelegt. Und um jetzt nicht völlig abzuschweifen, die Atompolitik weltweit, aber auch die Deutschlands war für mich persönlich ein äußerst empfindlicher Punkt und ich hatte immer genau davor Angst, was seinerzeit in Tschernobyl und in diesen Tagen in Japan bittere Realität wurde. Eine Realität, vor der sich heute viele Menschen verwundert die Augen reiben, weil sie diese für „unvorstellbar“ hielten. Unvorstellbar? Wieso konnten wir uns das immer vorstellen?  Und wenn Sie mich fragen, ist das nur der Anfang! Man braucht auch keine blühende Phantasie oder eine besondere Intelligenz um sich vorstellen zu können, was uns noch erwartet.  Und da sollen wir nicht um unsere Kinder, um alle Kinder dieser Welt, weinen?

Inzwischen bin ich Mutter und das schon seit fast 18 Jahren. Fragen Sie nicht, warum ich mich dann doch dazu entschlossen habe. Dazu müsste ich wieder eine Geschichte erzählen, die Sie mit Sicherheit jetzt nicht lesen wollen. Ich konnte mein Kind vor vielem beschützen, es auf die Zukunft vorbereiten. Wenn unsere Kinder aber heute fragen, ob sie denn überhaupt noch eine Zukunft haben? Haben wir darauf eine geeignete Antwort? Oh, ich kenne die Argumente, die da lauten: es könnte uns auch heute noch ein Stein auf den Kopf fallen! Aber ich muss ja nicht den Sonntagsspaziergang in einer Steinschlag-Gegend absolvieren, und wenn doch, dann wenigstens mit Helm!

Vor einer nuklearen Katastrophe aber, durch die die Atmosphäre, einfacher gesagt – die Luft, die wir einatmen - kontaminiert wird, kann ich mich nicht schützen - weder mit Helm noch mit Gasmaske. Da dürfen wir uns fühlen wie die Kakerlaken, die durch den Kammerjäger ausgeräuchert werden. Und vielleicht kann sich ja der eine oder andere Leser vorstellen, wie ohnmächtig man ist, wenn man schon lange vorher solche Szenarien vor seinem geistigen Auge gesehen hat, die damals schon und noch vor Kurzem belächelt wurden! Ich konnte und werde es nie begreifen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die noch immer nicht verstanden haben, welch eine unkalkulierbare Gefahr von einem AKW ausgeht. Und wie viele solcher Kraftwerke haben wir weltweit? Fortschrittsglauben in allen Ehren, aber so naiv und dumm oder ignorant kann doch eigentlich niemand sein, dass er sich nicht mit den Risiken auseinandersetzen will und in Deutschland Laufzeitverlängerungen in der Mehrheit noch immer gut heißt, obwohl wir an einem Zeitpunkt angekommen sind, an dem die ersten Atomkraftwerke a) überaltert sind und b) sich alternative Energien bewährt haben. Welcher der verantwortlichen Politiker kann spätestens jetzt von sich behaupten, er habe seinen Job gut gemacht, ohne sich wenigstens vor sich selbst zu schämen? Wer heute noch immer vom sauberen und günstigen Atomstrom spricht, sollte sich einmal die Zahlen anschauen. Bisher bezahlte der Deutsche Staat alleine an Subventionen für die Kernenergie etwa 170 Milliarden Euro. Und sauber? Da ist ja wohl kein Kommentar nötig!

An dieser Stelle richte ich einen Appell an den gesunden Menschenverstand und wenn es sein muss, von mir auch aus an den Erhaltungswillen unserer Art. Dabei meine ich nicht den Willen zur Fortpflanzung, sondern den Erhalt des aufrechten Gangs, des kritischen Geistes, der sich nicht von Politkarrieren und Machtphantasien korrumpieren lässt, sondern sich immer ein gesundes Maß an natürlicher Intelligenz dafür bewahrt, auch einmal hinterfragen zu können. Kinder können das und bringen uns damit oft genug in Verlegenheit!

Christine Keiner

Montag, 7. März 2011

Der größte Gewinner der Globalisierung

Wer auch immer darüber debattiert, ob und wie der Islam zu Deutschland gehört, sollte sich darüber im Klaren sein, was inzwischen in weiten Teilen der Erde aus dieser ursprünglich friedlichen Religion geworden ist und sich mit moderaten Muslimen beraten.



So schreibt Johann Hari im The Independent: “Wir alle finanzieren die Bigotterie der Saudis!” Seiner Meinung sind es nicht die großen Marken wie Coca Cola, Apple oder Nike, die weltumspannende Karrieren gemacht haben, sondern der Champion sei ein puritanischer Wüstennomade aus Arabien, der schon seit 1765 tot ist. Die Rede ist von Muhammad Ibn Abd-al Wahhab. Der nämlich hatte einen Traum. Er wollte die reine und puritanische islamische Religion und studierte in Bagdad einen Gelehrten aus dem 8. Jahrhundert, der alle Hadith (Wissenschaft) verwarf und den Koran als monolithisches Werk des Himmels erscheinen ließ, dem Menschen nichts hinzufügen dürften. Diese Lehren fasste Wahabb im Buch der Einheit (kitab at-tauhid) zusammen, in dem er eine einfache Natur Gottes und seiner Offenbarung verkündete. Hinzu fügte er noch die Lehren Ibn Taimiyas, der sich gegen eine Schwächung des Islam durch fremde Einflüsse wandte und die Logik, die empirische Wissenschaft Griechenlands sowie die islamische Mystik geißelte, die er für ein feindliches, dem christlichen Glauben entlehntes, Element hielt. So entstand die “Reformation” des Islam. Die Wahhabiten betrachten sich als die einzig wahren Muslime und lehnen alle anderen Richtungen des Islam, insbesondere den Sufismus und die Schia ab. Talibane und ein Teil von El Kaida sollen sich auf diese Lehre berufen haben.

Als es 1744 zu einer Vertragsunterzeichnugn zwischen Abd al-Wahhab und Ibn Saud kam, in dem sich Wahhab die religiöse und Ibn Saud die militärische Macht im “heiligen Krieg” teilten und die Saudis 1786 den gesamten Nadschd eroberten, gründeten sie das erste Reich der Saud Dynastie. Wahhab und seine Anhänger kontrollierten immer mehr Volksstämme und ihr Reich wurde groß und mächtig. Mehrere Male griffen sie Mekka und Medina und blockierten Pilgerwege und versuchten die Imame von ihrer Lehre zu überzeugen. Die wahhabitischen Feldzüge gelten als die schrecklichsten und unheiligsten Kriege der Moslems.

Die endgültige Eroberung Mekkas und Medinas machte Saudi-Arabien mit der Gründung 1932 zu einem starken Staat. Der Wahhabismus ist heute Staatsreligion und wird durch die Religionspolizei, die Mutawas, gestützt. Auch die Justiz, wie in vielen anderen arabischen Ländern, untersteht den Religionsgelehrten, also den Wahhabiten und der saudi-arabische Staat fördert wahhabitische Organisationen in allen Teilen der Welt.

Gemäßigte Muslime warnen seit Jahrzehnten vor dem Überschwappen des Wahhabismus auf die islamische Welt und davor, dass Kinder in Koranschulen von dieser Lehre indoktriniert werden. Johann Hari schreibt in seinem Artikel, in Groß-Britannien gebe es wenigstens 120 Koranschulen, die ohne saudische finanzielle Unterstützung nicht existieren könnten und der britische Staat denke daran, mehr von diesen Schulen zu bauen. Ganz abgesehen von den Imams, schreibt er, von denen niemand wisse, wie viele von ihnen von den Saudis ausgebildet würden. In einer Birminghamer Moschee hätte ein in Riyadh ausgebildeter Imam Juden und Christen als „Feinde“ bezeichnet und Homosexuelle als „perverse, verlauste Hunde, die getötet werden“ müssten. Schon länger diskutiere die britische Regierung darüber, britische Imame auszubilden, aber ihre Energie dafür sei offenbar verpufft. Hari warnt davor, dass -wenn wir den Wahabbismus weiterhin zuließen, andere Formen des Islams schlichtweg weg gebügelt würden. Der große Traum von Wahhab sei schon jetzt Realität geworden: für Millionen von Muslimen sei der Wahhabismus bereits der einzig wahre Glaube.

Und warum stoppen unsere Regierungen diese „Hass-Maschine“ nicht? fragt er. Die Antwort sei ganz einfach, schreibt Thomas Friedman von der New York Times: „Junkies reden auch nicht schlecht hinter dem Rücken ihres Dealers.“ Wir sind abhängig vom Saudi-Öl:  jedes Mal, wenn wir unseren Tank füllen, ein Flugzeug besteigen oder uns Waren aus aller Welt liefern lassen, werden unsere demokratischen Prinzipien immer ein bisschen glitschiger vom Öl. Und so lange wir nicht endlich vom Öl aus dem Nahen Osten unabhängig werden, so lange unterstützen wir indirekt an der Zapfsäule diese Propaganda der Wahabbisten. Grüne Energie würde uns nicht nur vor einem entarteten Islam retten, sondern uns außerdem näher an den Umweltschutz bringen.“ Ob das nicht alleine schon Grund genug wäre, fragt er.

Welch ein Zynismus: Demokraten aus London oder Berlin bezahlen indirekt an der Zapfsäule für eine fanatische arabische Propaganda, mit der Kinder in Pakistan oder an Hunderten von anderen Orten indoktriniert werden, von denen uns dann einige als Terroristen oder Selbstmordattentäter heimsuchen!


http://www.weltexpress.info/cms/index.php?id=6&tx_ttnews[tt_news]=29026&tx_ttnews[backPid]=385&cHash=8bff4cb9e625a0b5b5d3d63c2d5828ae

Samstag, 5. März 2011

Türkische Blogs bei blogger.com gesperrt

Wegen Fußball-Übertragungsrechten erreichte ein türkischer Pay-TV-Sender per Gerichtsbeschluss die Sperrung von allen Blogs bei blogger.com in der Türkei.

Die Sperre wurde durch einen türkischen Pay-TV-Anbieter veranlasst, der das Monopol für Streams von türkischen Fussball-Ligaspielen beansprucht. Weil einige Blogs Links zu Seiten enthielten, die entsprechende Aufnahmen kostenlos anboten und Google nach mehrmaliger Auffordung nichts dagegen unternahm, soll ein Gericht einen Eilantrag durchgesetzt und die sofortige Sperre  der Blogs erwirkt haben. Auch andere Webdienste fielen aus.

Der betroffene Fernsehsender hatte 2010 die Senderechte für 321 Millionen Dollar gekauft und will sich nicht bieten lassen, dass in den Blogs die Spiele umsonst angesehen werden können und ist außerdem der Meinung, dass die Internetplattform dafür zu sorgen hat, dass die AGSs eingehalten werden.

(Anmerkung: Heute, am 5. März, 12.45 Uhr, ist zumindest mein Blog wieder geöffnet. Ob dauerhaft, ist zur Zeit nicht bekannt)

Dienstag, 1. März 2011

Erdogan und sein Wahlkampf in Deutschland

Der türkische Ministerpräsident ist zwar Regierungschef seines Landes, aber er hat beileibe nicht nur Freunde und sein Beliebtheitsgrad befindet sich im Sinkflug. Was liegt da näher, als bei 3 Millionen Türken in Deutschland um Stimmen zu buhlen und ihnen zu erzählen, was sie gerne hören wollen?

Es war eine verantwortungslose Rede, die Tayyip Erdogan am Sonntagabend im ISS-Dome in Düsseldorf vor rund 10 000 Türken hielt, denen er wahrlich den in der Türkei so oft zitierten „Honig“ um den Bart schmierte: „Ich bin hier, um mit euch eure Sehnsucht zu fühlen, ich bin hier, um nach eurem Wohl zu schauen. Ich bin hier, um euch zu zeigen, dass ihr nicht alleine seid!“ Und dann tat er wieder das, wofür er bereits vor drei Jahren kritisiert wurde, er riet seinen Landsleuten davon ab, sich zu assimilieren. Integration ja, Assimilation nein! „Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber zuerst müssen sie Türkisch lernen“. Welche absurden Ratschläge. Man kann den Eindruck gewinnen, er habe sich doch nicht so weit entfernt von den Ideen seines kürzlich verstorbenen ehemaligen Mentors, Necmettin Erbakan. Der redete nämlich immer orakelgleich davon, dass Allah für die Türken, bzw. für die Muslime in Europa einen anderen Plan vorgesehen habe, als dass sie nur zum Geldverdienen kommen.

Die Türkei vermittelt ihren Bürgern seit der Gründung der Türkischen Republik ein überstarkes Nationalgefühl. Atatürk wollte damit seinerzeit den Vielvölkerstaat zu einer Nation zusammen schweißen, ganz nach dem Vorbild der USA. Die Kinder in der Schule werden noch heute jeden Morgen mit patriotischen Atatürk-Zitaten auf den Tag eingestimmt, die Nationalhymne wird jeden Freitagnachmittag nach dem Unterricht zelebriert, dann erst werden Schüler und Lehrkräfte ins Wochenende entlassen. Seit die Regierung Erdogan das Ruder übernommen hat, kommt zu dem Nationalismus auch noch das religiöse Selbstverständnis dazu. Das Kopftuch der Emine Erdogan machte als islamisch-modisches Accessoire  eine große Karriere. Viele Frauen „hübschen“ sich damit auf und niemand soll meinen, sie würden dazu von ihren Vätern oder Männern gezwungen. Dieses Kopftuch ist das Symbol einer neuen, religiös inspirierten, Mittelschicht, die durch Erdogan zu einem nicht sonderlich sympathischen Selbstbewusstsein gefunden hat. Dieses Selbstbewusstsein oder Selbstwertgefühl versucht der türkische Ministerpräsident nun auch den Türken in Deutschland zu vermitteln.

Erdogans Wählerschicht besteht größtenteils aus der Landbevölkerung, die in die Ballungszentren drängt. Es sind diejenigen, die jetzt „ran an die Wurst“ wollen, denn sie wurden von den Kemalisten sträflich vernachlässigt. Hier zeigt sich auch das große Versagen der türkischen Sozialdemokraten (CHP) über Jahrzehnte. Die nicht besonders gläubige, aber ungebildete Dorfbevölkerung wurde belächelt und das Bildungsbürgertum schaute naserümpfend auf sie herab. Nur während der Wahlkämpfe verirrten sich Politiker in die ländlichen Regionen, um Kreuze auf den Wahlzetteln einzusammeln. Aber Erdogan machte sie zu seinen „Geschwistern“, gab ihnen ein neues Selbstwertgefühl und machte außerdem die Religion gesellschaftsfähig. Als die Kemalisten durch Erdogan ihre Felle davon schwimmen sahen, versuchten sie mit einem „tiefen Staat im Staat“ Unruhe im Land zu stiften, unterstützten Anschläge und ließen mutmaßlich Christen ermorden, weil sie glaubten, sie könnten noch einmal die Uhr zurück drehen. Doch sie unterschätzten Erdogan und seine Leute. Jetzt stehen etwa 200 ehemalige Militärangehörige, unter ihnen Generäle, vor Gericht oder sind bereits verurteilt und inhaftiert.

Wie „spannend und wichtig“ das Experiment der Türkei unter Erdogan wirklich ist, bleibt abzuwarten. Tatsache jedenfalls ist, dass das „Modell Türkei“ für den gegenwärtigen Umbruch in der arabischen Welt von großer Bedeutung unter der Bedingung sein kann, dass auch die Minderheiten die gleichen Rechte erhalten.


http://www.weltexpress.info/cms/index.php?id=6&tx_ttnews[tt_news]=28967&tx_ttnews[backPid]=385&cHash=fd34dc9f710687207bc4e8121600ffa7